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Einführung

Wer sich entschlossen hat, Lehrer zu werden, muss sich bewusst sein, dass dieser Beruf durch hohe Anforderungen gekennzeichnet ist. Neben überfüllten Klassen, Schwierigkeiten mit der Disziplin, kulturellen Differenzen usw. stellt sich weiterhin das Problem, dass Lehrer immer nur in Kooperation mit ihren Interaktionspartnern ihre Ziele erreichen können. Dies bedeutet, dass selbst die geeignetste Lehrerpersönlichkeit Probleme bekommt, ihren Lehrstoff zu vermitteln, wenn Kinder nicht mitarbeiten oder im Kollegium eine destruktive Stimmung herrscht[1].
"Konfrontiert mit zahlreichen, für Lehrer alltäglichen Spannungsfeldern (...), zwischen dem Ideal optimaler Stoffvermittlung und individueller Schülerförderung, weiterhin von vielfach großen bis zu großen, heterogenen Klassen, mit unmotivierten und undisziplinierten Schülern, im Konflikt mit Erziehungsaufgaben vernachlässigenden Eltern, angesichts vager bildungspolitischer und von vielen als beängstigend offen empfundener gesellschaftlicher Perpektiven usw. wird für jeden sich auch nur ansatzweise in die Thematik hineindenkenden Menschen nachvollziehbar, warum der Lehrerberuf von vielen darin tätigen Personen als eine Belastung erlebt werden kann, der sie sich langfristig nicht gewachsen fühlen." [2]
Lehrer werden in der deutschen Gesellschaft ambivalent wahrgenommen. Einerseits besteht die Erwartung, dass Lehrer neben der Vermittlung von Wissensinhalten auch am besten gleich alle Erziehungsarbeit übernehmen sollten, andererseits wird gerade diese Berufsgruppe immer wieder öffentlich - sehr medienwirksam -  als "Freizeitjobber", "faule Säcke" usw. beschimpft. Viele Lehrer leiden unter diesem negativen Image und fühlen sich gekränkt.
So wie sich die Stellung der Lehrer in unserer Gesellschaft ambivalent darstellt, so sieht es auch mit den halbherzigen politischen bzw. gesellschaftlichen  Bemühungen aus, Schulen so zu gestalten, dass sie sich für die von der Gesellschaft intendierten Lernprozesse  eignen. Wie allgemein bekannt werden für die eigentlich dringend benötigten Umstrukturierungen Gelder benötigt, die aber nicht zur Verfügung stehen. Also geht es weiter wie bisher oder sogar noch schlimmer. Auf der einen Seite stehen die vielen Forschungsergebnisse, die durchaus viele Möglichkeiten aufzeigen, wie Schulen und Unterricht besser zu gestalten wären, auf der anderen Seite bleiben die Schwierigkeiten in den Schulen weiter bestehen.
Den Lehrern selbst ist durch Forschungsergebnisse wenig geholfen. Sie leiden unter den bestehenden Arbeitsbedingungen und fühlen sich den Belastungen oft nicht mehr gewachsen. Wie bekannt führt andauernder Stress häufig zu psychischen und psychosomatischen Symptomen, die von Betroffenen dann als Burnout erlebt werden können.
Belastungen lassen sich in subjektiv erlebte Beanspruchungen und objektivierbare Indikatoren für Überbeanspruchung unterteilen. Für das persönliche Stresserleben spielt die subjektive Ebene die entscheidende Rolle. Subjektiv empfundener Krach im Klassenzimmer kann natürlich auch als "Lärmpegel" mit Geräten gemessen werden. Doch das, was subjektiv für "wahr" erachtet wird, wirkt sich letztlich auf das Leben des Betroffenen aus, und es ist meist von wenig Erfolg gekrönt, Menschen zu sagen, dass ihr subjektives Erleben objektiv aber gar nicht stimme. Welcher Mensch, der sich zum Beispiel von Grund auf ausgebrannt fühlt, ist in der Lage, dieses Gefühl durch objektive Kriterien entkräften zu lassen?  Objektive Kriterien sind nützlich, um gesellschaftliche Umstrukturierungen anzustoßen und zu begründen, weniger aber, wenn es darum geht, Lehrern zu helfen, mit ihren Belastungen umzugehen. Erst wenn eigene, häufig automatisch ablaufende Gedanken- und  Handlungsmuster, Werte,  gewohnte Einstellungen usw. reflektiert und verändert werden, ist es auch möglich, die belastenden Umstände anders wahrzunehmen und neue Strategien einzusetzen.
In diesem Kontext sind auch die individuellen Beanspruchungs- und Bewältigungsmuster zu nennen, die von Schaarschmidt et al. identifiziert wurden. Über die Muster können Beanspruchungssituationen für Individuen und Gruppen gekennzeichnet und die erlebten Bewältigungskompetenzen gegenüber künftigen Anforderungen beurteilt werden. Zwei dieser Bewältigungsmuster, die Risikomuster A und B, finden sich bei Lehrern überdurchschnittlich häufig. Die ausgewerteten Daten der Potsdamer Lehrerstudie zeigen in Übereinstimmung mit der durch führende Krankenkassen veröffentlichten Daten, dass Burnout im Lehrberuf ein ernstzunehmendes Problem ist und dies auf absehbare Zeit auch bleiben wird.
Ziel der Lehrerbelastungsforschung ist es unter anderem, möglichst gezielt herauszufinden, was denn eigentlich manche Lehrer in Situationen erkranken lässt, in der andere Lehrer vergleichsweise unbelastet weiterarbeiten können. Schließlich brennt nicht jeder Lehrer aus, der sich in seinem Beruf engagiert. Abweichend von der Metapher der "ausbrennenden Kerze" hat sich in Studien  herausgestellt, dass es gar nicht nur die besonders engagierten Lehrer sind, die erkranken. Nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft muss ein Mensch nicht "gebrannt" haben, um an Burnout zu erkranken. Es gibt jedoch bestimmte persönliche Merkmale, die sich bei "ausgebrannten" Menschen häufiger finden als bei gesunden und die sich bei berufsbezogenen Belastungen negativ auswirken können. Viele dieser in diesem Modul vorgestellten Merkmale lassen sich präventiv beeinflussen und können bereits im Studium kritisch betrachtet werden.

[1] vgl. Sieland 2007
[2] Hillert, Lehr, Koch, Brach, Sosnowsky-Waschek & Ueing 2012